Die Macht des Films - Das Projekt stellt sich vor
Bewegtbilder haben einen enormen Effekt und Einfluss auf Menschen. Der kann positiv oder negativ sein. Insbesondere Filme können Aufmerksamkeit auf ein spezifisches Thema lenken. Sie können Identifikationsmomente schaffen, aber auch zu Ausgrenzungen und Verfestigung von Stereotypen beitragen. Speziell Kinder können stark von Filmen beeinflusst werden. Kinder lieben Geschichten, Töne und Bilder. Sich in eine fiktive Welt oder in einen dokumentarischen Blick einzufinden, kann spannend und anregend für sie sein. VISION KINO greift im Projekt „Film Macht Mut“ das Lernpotential von Filmen für Kinder auf. Mit dem Filmbildungsprojekt sollen Kindern der 1. bis 6. Klasse die komplexen Thematiken von Rassismus und Antisemitismus verständlich nahgebracht werden. Die ausgewählten Filme dienen als Anstoß mit den Kindern über Rassismus und Antisemitismus ins Nachdenken, Sprechen und die kreative Auseinandersetzung zu kommen. Projektleiterin Sabine Genz verrät: „Essentiell ist dabei, dass die Auseinandersetzung mit dem Gesehenen nicht ausschließlich auf einer inhaltlich-thematischen Ebene stattfindet, sondern ästhetischen Merkmalen ein ebenso großer Stellenwert zugemessen wird: Eine emotionale Dramaturgie, Charakterentwicklung und Bildsprache sind wichtige filmische Gestaltungsmittel, die die Repräsentation einzelner Charaktere oder Gruppen und damit die Wirkung eines Films maßgeblich bestimmen.“
Es braucht eine frühzeitige Sensibilisierung für Kinder
Intern arbeiten an dem Projekt „Film Macht Mut“: das Projektteam der VISION KINO zusammen mit einem bundesweiten Team in den Projektbüros der SchulKinoWochen in den jeweiligen Bundesländern. Für die Workshopkonzeption, die Fortbildungen für Lehrkräfte, regelmäßige Beratungen und die Filmjury wurden externe Expert*innen hinzugezogen. Gefördert wird das Projekt bis August 2024 von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen des Maßnahmenkatalogs der Bundesregierung zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Die Ziele einer antisemitismuskritischen und rassismuskritischen Filmbildung will das Projekt vor allem in Workshops für 1. bis 6. Klassen und Fortbildungen für Lehrkräfte umsetzen. Diese werden von externen Expert*innen und Referent*innen konzipiert und durchgeführt. Eva Hasel, die die Workshops zusammen mit Sika Dede Puhlmann konzipiert, erzählt: „Die Workshops sollen möglichst wenig den Blick der Mehrheitsgesellschaft reproduzieren, sondern Betroffenenperspektiven in den Fokus nehmen – sowohl in der Darstellung des Erlebens von Rassismus oder Antisemitismus wie auch in der Erzählung von Normalität, Alltag und verschiedenen Lebensrealitäten. Die Workshops sollen darüber hinaus lebensweltlichen Bezug zur Altersgruppe aufweisen und ohne zu große Komplexität oder Abstraktion kindgerecht Wissen und Handlungsoptionen vermitteln.“
Das Projekt besetzt eine Leerstelle in der Filmvermittlung, in dem es sich bundesweit explizit auf Themen wie Rassismus und Antisemitismus für diese junge Zielgruppe fokussiert. Schwerpunkte in diesen Themenbereichen lagen bisher vor allem auf Migration, Flucht und auch Nationalsozialismus. VISION KINO Geschäftsführer Leopold Grün weiß: „Bildungsangebote im Grundschulalter zu den Themen Rassismus und Antisemitismus sind weniger weit verbreitet, auch wenn die Notwendigkeit einer frühzeitigen Sensibilisierung gegeben ist. Dispositionen für die Vorurteilsbildung wie auch konkrete Diskriminierungsformen des Rassismus und Antisemitismus werden bereits in der frühen Kindheit erworben, so können bei Kindern ab drei Jahren soziale Kategorisierungen beobachtet werden. Die dem zugrundeliegenden Vor-Vorurteile, haben noch nicht die verfestigten Strukturen und die Standhaftigkeit wie Vorurteile, doch werden durch sie Unterschiede konstruiert und Eigenschaften zugeschrieben. Gerade das Grundschulalter ist demnach besonders von Bedeutung hinsichtlich der Entwicklung von Toleranz und Vorurteilen. Filme eignen sich hervorragend für eine emotionale und kognitive Vermittlungsarbeit.“ Es ist also nicht so, dass Kinder Rassismus und Antisemitismus per se nicht wahrnehmen. Sie können dies nur oft nicht benennen. Farnaz Sassanzadeh von der VISION KINO Gesamtkoordination skizziert dieses Phänomen etwas genauer: „Fehlendes Wissen über diese Themen und die Bedeutungen, die dahinterstecken, sorgen für Irritation bei den Kindern. Ohne Wissen haben sie dann keine Kapazität, um diese Themen zu verstehen und zu dekodieren. Bildung der Kinder zu diesen Themen, vor allem durch ein Medium wie Film, gibt ihnen die Möglichkeit die Unterschiede besser zu sehen, zu verstehen und somit die Gründe/Symbole wahrzunehmen. Gleichzeitig bietet Film den Kindern die Chance, die Gefühle, die durch Diskriminierung entstehen, besser zu verstehen und so allgemein ein besseres Verständnis über die Gesellschaft zu entwickeln.“
Der Einfluss von Lehrkräften auf die Entwicklung der Kinder ist groß
Nicht nur mit den Kindern wird im Projekt über gesellschaftliche Vielfalt, Rassismus, Antirassismus, Antisemitismus, jüdisches Leben und Diskriminierung gesprochen. Der Austausch ist auch für Lehrer*innen und Pädagog*innen geplant. Ihr Einfluss darf nicht unterschätzt werden. Durch die Fortbildungen und Workshops können die Lehrer*innen ihr sozialisiertes Wissen hinterfragen. Denn in unserem Gesellschaftssystem wird Rassismus und Antisemitismus häufig nicht als solches erkannt und benannt. Am Medium Film sehen wir das sehr deutlich: Gerade in Filmen werden sehr zahlreiche Diskriminierungen reproduziert. Viele rassistische und antisemitische Bilder und Charakterdarstellungen werden erst einmal als „positiv“ gelesen, weil das Hintergrundwissen zu diesen Themen fehlt. Die Workshops und Fortbildungen kontextualisieren diese oft aufgeladenen Filmbilder. Gemeinsam mit den Lehrkräften wird auf die diskriminierenden Aussagen hinter den Filmmotiven geschaut.
Das Projektteam von „Film Macht Mut“ hofft, Pädagog*innen durch das Projekt zu unterstützen, ihren Unterrichtsstil und den Umgang mit den Kindern diskriminierungskritisch zu reflektieren und ihre Offenheit für die verschiedenen Lebensrealitäten der Kinder zu stärken. „Wie Lehrer*innen und andere Fachkräfte auf die Kinder und ihre Familien oder andere Erziehungsberechtigten blicken, hat großen Einfluss auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder. Viele Studien belegen, dass das so genannte „rassistische und antisemitische Wissen“ über Menschen und ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Hintergründe die Beziehung zu Kindern prägt. Mit den Übergangsempfehlungen hat die Grundschule eine große Verantwortung und kann über Biografien bestimmen. Diese Zusammenhänge sind vielen Lehrkräften nicht bewusst. Eine gute Form der Auseinandersetzung damit ist eine anwendungsbezogene Arbeit mit Filmen, natürlich auch mit allen anderen Materialien. Indem Lehrkräfte und anderes schulisches Personal sich damit befassen, wie mit Kindern Rassismus und Antisemitismus bearbeitet werden kann, lernen sie selbst dazu und entwickeln eine andere Haltung.“ berichtet Projektbeiratsmitglied Rosa Fava.
Kinderrechte stärken durch diskriminierungskritische Filmbildung
Manche weiße und/oder nicht-jüdische Kinder sehen rassifizierte Menschen und Juden_Jüdinnen zum ersten Mal in einem Film. Das Medium Film kann somit eine Chance sein, um aktiv über die Themen Rassismus und Antisemitismus aufzuklären. Denn viele Kinder werden im Alltag nicht genügend über Rassismus und Antisemitismus informiert. Das gilt auch für rassifizierte und von Antisemitismus betroffene Kinder. Nur, weil sie selbst von Diskriminierungen betroffen sind, heißt das nicht, dass sie diese Diskriminierungsverhältnisse auch in ihrer Gänze verstehen. Ein weiteres Ziel des Projekts besteht somit darin, u. a. speziell diese Kinder zu stärken und zu empowern. In den Filmen bekommen BIPoC und Juden_Jüdinnen positive Identifikationsvorbilder. Es werden ihnen Handlungsoptionen vermittelt und ihre Kinderrechte werden gestärkt. Sie können sich endlich repräsentiert, anerkannt, verstanden und ernst genommen fühlen. „Das kann sich positiv auf ihr Selbstbild auswirken“, berichtet Sika Dede Puhlmann aus der Workshopkonzeptionsgruppe.
Dem Projektteam von „Film Macht Mut“ ist es daher sehr wichtig, auch filmische Gegenerzählungen zu gängigen Narrativen in die Workshops aufzunehmen. Es wurden möglichst verschiedene Filmgattungen und -formate aufgenommen, beispielsweise Kurzfilme, Langfilme, Dokumentarfilme, fiktive Spielfilme, Animationsfilme oder experimentelle Filme. Die Recherche wurde durch viele NGOs, Institutionen, Filmemacher*innen und Kurator*innen unterstützt. Dadurch konnte das Projekt am Ende einen großen Pool von passenden und spannenden Filmen zusammenstellen. Trotzdem konnten leider nicht alle Themen abgedeckt werden, z. B. wurden kaum Filme in Bezug auf Antiasiatischen Rassismus für die Zielaltersgruppe gefunden.
Auch das Projektteam sensibilisiert und bildet sich weiter
Sich Beratung und Unterstützung zu holen, ist den Projektteams bei der VISION KINO und den SchulKinoWochen im Übrigen nicht nur in puncto Filmauswahl wichtig. Sie waren und sind bereits mit Anti-Diskriminierungs-Trainings und Supervisionen beschäftigt, um sich für das Projekt weiter auszubilden. Die diskriminierungskritische, repräsentative Stellenbesetzung zu erweitern, geht auch mit neuen Teamdynamiken einher. Im Team sind BIPoC und Juden_Jüdinnen bisher unterrepräsentiert und die gesellschaftlichen Strukturen von Rassismus und Antisemitismus spiegeln sich auch hier wider. Insbesondere für die, die davon tatsächlich betroffen sind, sind Diskussionen kräftezehrend und anstrengend. Parand Laghai, die Länderkoordinatorin für Berlin-Brandenburg, und Sonja Collison von der Länderkoordination in Hamburg führen aus: „Wir merken allerdings schon, dass von den meisten Menschen eine Bereitschaft da ist, an diesen Herausforderungen zu arbeiten. Reflektiert werden muss, dass die meisten Stellen von weißen und nicht-jüdischen Menschen besetzt sind. Auch, wenn manche sich in der Theorie auskennen, bedeutet das Ganze natürlich nicht, dass sie ihr Wissen in realen Lebenssituationen verstanden haben und in die Praxis umsetzen können.“
Bis mehr Positionen von BIPoC und Juden_Jüdinnen besetzt sind, werden aktuell Hilfsangebote für die wenigen rassifizierten Menschen im Team gemacht. „Gleichzeitig möchten wir einen Weg finden, uns BIPoCs (Black, Indigenous, People of Color) selbst zu schützen und zu empowern und haben uns jetzt den Raum dafür genommen, was uns sehr guttut.“
Nur mit konstruktiver Kritik an der eigenen Arbeit kann ein Projekt wie „Film Macht Mut“ erfolgreich gelingen. Die stetige Bereitschaft zum (Weiter-)Lernen ist, was das Projekt „Film Macht Mut“ maßgeblich ausmacht. Das soll sowohl bei den Kindern als auch bei den Lehrkräften, pädagogischen Referent*innen und in den beteiligten Institutionen geschehen. Die Projektbeteiligten hoffen, dass auch nach dem Projektzeitraum noch mehr Workshops und Lehrkräftefortbildungen zur antirassistischen und antisemitismuskritischen Filmbildung entstehen. Außerdem besteht der Wunsch, dass eine stärkere Vernetzung mit diskriminierungskritischen Menschen und Institutionen entsteht. In der Quintessenz soll das Projekt „Film Macht Mut“ ein Anstoß zur nachhaltigen Veränderung sein.
Autor*in
Josephine Papke arbeitet vielfältig im Kulturbereich, u.a. als Autorin, Journalistin, Redakteurin, Poetin, Dramaturgin, Performerin. Sie arbeitete bereits am Berliner Ringtheater und am Ballhaus Naunynstraße und schrieb u. a. fürs Missy Magazine, Bildungsstätte Anne Frank, HKW, Brücke Museum, L-Mag, Theatertreffen Blog der Berliner Festspiele, rbbKultur, Literarische Diverse, Neue deutsche Medienmacher*innen, Sisters & Souls 2 uvm.