Yanina berichtet über ihren Workshop in der 1.&2. Klasse
Yanina Kochtova führt als pädagogische Referentin Workshops mit den Konzepten von Film Macht Mut durch. Hier berichtet sie aus ihrer Erfahrung in einer ersten und zweiten Klasse in Thüringen.
Rahmenbedingungen, Thema und Methodik
Der Projekttag fand in einer heterogenen Grundschulklasse einer Stadt in Thüringen statt, bestehend aus Schüler*innen der ersten und zweiten Klasse. In dieser Gruppe befanden sich auch drei Kinder, die die deutsche Sprache kaum oder nur bruchstückhaft beherrschten. Der Workshop begann mit einer spielerischen Vorstellungsrunde und der Festlegung von Gruppenregeln. Es folgte eine Einführung in das Thema, begleitet von einer Abfrage des Vorwissens der Schüler*innen. Kreative Methoden wurden eingesetzt, um die Inhalte zu vertiefen und den Schüler*innen die Möglichkeit zu geben, sich diese individuell anzueignen. Besonderes Augenmerk wurde auf das Verständnis der visuellen und auditiven Wirkungsweise von Filmen gelegt.
Der Workshoptag beschäftigte sich mit dem globalen Thema der UN-Kinderrechte und hatte zum Ziel, die Kinder mit ihren Rechten vertraut zu machen und sie zu befähigen, sich für diese Rechte einzusetzen. Mit der spielerischen Methode „Die Rechte des Kaninchens" sammelten die Kinder zunächst im Plenum, was ein Kaninchen für ein glückliches, sicheres und gesundes Leben braucht. Diese Ergebnisse übertrugen sie dann auf die Bedürfnisse von Kindern nach elterlicher Fürsorge, Schutz vor Gewalt, persönlicher Entwicklung und gesellschaftlicher Teilhabe.
Anschließend lernten die Kinder weitere Rechte auf der Kinderrechtekarte der Bundeszentrale für politische Bildung kennen und erarbeiteten diese. Das Wimmelbild erwies sich als sehr ansprechend, regte zum Entdecken an und schuf Raum für viele Fragen und Reflexionen. Ein bedeutender Inhalt war die Vermittlung, wer die Schüler*innen bei der Einhaltung ihrer Rechte unterstützt und an wen sie sich im Zweifelsfall wenden können.
Anhand eines Wimmelbildes wurden fünf ausgewählte Kinderrechte besonders fokussiert und verständlich dargestellt: das Recht auf eine eigene Meinung, das Recht auf Gleichbehandlung, das Recht auf Schutz vor Gewalt, das Recht auf Bildung und das Recht auf Freizeit. In Gruppen malten die Schüler*innen ihre eigenen Ideen und Gedanken entweder frei oder auf bestehende Vordrucke. Anschließend stellten die Kinder ihre Werke der gesamten Gruppe vor und erklärten, warum das ausgewählte Recht für sie besonders wichtig ist.
Anschließend wurde der Film „Edgy“ angeschaut, ein zweiminütiger Kurzfilm ohne Dialoge, der die Geschichte von Edgy erzählt, einem kleinen roten Dreieck in einer Welt voller großer blauer Blöcke, das sich einsam und unverstanden fühlt. Nach dem ersten Anschauen des Films wurden die Eindrücke gesammelt. Anschließend bekamen die Kinder die Aufgabe, auf einer Karte mit ausgewählten Kinderrechten alle Rechte, die sie im Film erfüllt sahen, mit einem grünen Punkt zu markieren und alle Rechte, die sie nicht erfüllt sahen, mit einem roten Punkt zu markieren. Durch das genaue und wiederholte Betrachten der Szenen schärften die Kinder ihren Blick für die Wirkung von Farbe, Licht, Ton und Musik im Film und konnten die ästhetische und emotionale Wirkung des Filmerlebnisses beschreiben und begründen.
In einer abschließenden Feedbackrunde konnten die Kinder den Tag Revue passieren lassen, das Erlebte kommentieren und ihre Gefühle ausdrücken.
Reaktionen der Kinder
Die Schüler*innen zeigten durchwegs positive Reaktionen auf die Workshoptage, wobei besonders die Aussicht auf Filmsichtungen für Begeisterung sorgte. In dieser Klasse zeigte sich bereits im Vorfeld ein solides Wissen über die Kinderrechte, was die Kinder gespannt auf die bevorstehenden Aufgaben und Übungen machte. Ihre aktive Teilnahme an den Übungen und Diskussionen deutete auf eine hohe Motivation hin.
Besonders die Übung zu den Rechten des Kaninchens kam bei den Kindern gut an. In der anschließenden Feedbackrunde äußerten einige Kinder, dass sie nach diesem Tag ein stärkeres Bewusstsein für ihre Rechte entwickelt und auch neue Rechte kennengelernt hätten. Die Resonanz auf die Ausmalbilder war gemischt, einige Kinder empfanden die Struktur der Blätter als zu starr oder zu frei, was teilweise zu Schwierigkeiten bei der Anwendung der Methode führte.
Durch das Abdunkeln der Fenster, das Aufstellen von Stuhlreihen, die Sichtung auf der interaktiven Leinwand und das Ausschalten des Lichts wurde eine konzentrierte Atmosphäre für die Filmsichtung geschaffen. Ein lautes „Film ab!“ leitete den Kurzfilm „Edgy" ein, der bei den Kindern große Begeisterung auslöste. Sie fühlten intensiv mit dem roten Dreieck, drückten ihre Gefühle aus und freuten sich auf die zweite Sichtung. Es war zu beobachten, dass das wiederholte Ansehen des Films den Kindern immer wieder neue Erkenntnisse brachte.
Herausforderungen
Während des Workshops offenbarte uns ein Kind in einer Pause, dass es Opfer häuslicher Gewalt geworden war und zeigte einer der Referent*innen sogar körperliche Verletzungen. Das Kind äußerte, dass seine Eltern die Kinderrechte nicht respektierten. Wir nahmen das Kind unterstützend auf und zeigten ihm Handlungsmöglichkeiten auf, wie z.B. das Aufsuchen von Vertrauenspersonen oder professionellen Anlaufstellen. In Absprache als Tandem entschieden wir uns, den Vorfall der Lehrerin vertraulich mitzuteilen. In enger Zusammenarbeit wurde die Lehrperson für die Situation sensibilisiert und reagierte im Gespräch sehr einfühlsam.
Dieser Vorfall hat uns als Tandem sehr berührt. Es war jedoch ermutigend zu sehen, dass der Rahmen des Workshops es dem Kind ermöglichte, sich uns als Vertrauenspersonen zu öffnen. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, Themen wie Kinderrechte, Diskriminierung oder Vielfalt bereits in jüngeren Klassenstufen zu behandeln. Da wir als Ansprechpersonen jedoch nur für einen kurzen Zeitraum anwesend sind, ist eine weitere Begleitung oder Unterstützung der Kinder nicht möglich. In Einzelgesprächen wurde den Kindern immer wieder unter Bezugnahme auf das Kinderrechte-Wimmelbild vermittelt, dass es helfende Personen gibt, die sie unterstützen können. Dadurch, dass wir zwei Tage in der Klasse waren, konnte das Kind einen Tag darüber nachdenken und sich nach einem weiteren Gesprächsangebot auch der Lehrerin anvertrauen. Während dieser Einzelgespräche lenkten wir die restliche Klasse mit spielerischen Methoden ab, um das betroffene Kind nicht in den Mittelpunkt zu stellen.
Solche Erlebnisse können auch für die Teamenden belastend sein. Daher war es wichtig, sich als Tandem gegenseitig zu unterstützen und einen sicheren Raum zu schaffen, um sich bei Bedarf auszutauschen.
Reflexion
Insgesamt war die pädagogische Arbeit eine sehr bereichernde Erfahrung. Bei der Vertiefung des Themas Kinderrechte wurden jedoch Wissenslücken, insbesondere im Bereich Religion, festgestellt. Diese Lücken sind aufgrund des jungen Alters der Schüler*innen verständlich, unterstreichen aber umso mehr die Relevanz der weiteren Module des Film Macht Mut-Projekts. Das gezielte Eingehen auf einzelne Schüler*innen funktionierte gut, stellte aber eine Herausforderung dar, wenn es darum ging, Kinder, die Deutsch als Zweitsprache lernten, oder Kinder mit Förderbedarf gleichberechtigt einzubeziehen. Engagierte Lehrpersonen erwiesen sich in solchen Situationen als sehr hilfreich und die Zusammenarbeit im Tandem als fruchtbar und unerlässlich.
Die inhaltliche Komplexität der Module erfordert bei der jungen Zielgruppe eine Vielfalt an Methoden, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen sitzenden und aktiven Phasen herzustellen. Flexibilität ist entscheidend, um auf die Dynamik der Klasse reagieren zu können. Da die Lehrerin von einem ganzen Tag ausging, wurde das Modulmaterial für einen halben Tag in Absprache mit der Landeskoordination erweitert und die Methoden individuell angepasst. Dies erforderte einen hohen Vorbereitungsaufwand, ermöglichte aber eine vertiefte Bearbeitung der Inhalte ohne Zeitdruck, was letztendlich zu einem positiven Feedback bezüglich des Lernerfolgs führte.
Die Klassenleitung war während des gesamten Workshoptages präsent und unterstützend. Die Zusammenarbeit und der Austausch waren konstruktiv und das Auswertungsgespräch verlief fruchtbar. Die Empfehlung, in den Vorabfragebögen Informationen über bekannte Methoden und Arbeitsweisen im Klassenalltag abzufragen, wurde als sinnvoll erachtet. Ein vorheriger Austausch mit dem Lehrpersonal oder den Sozialarbeiter*innen wird grundsätzlich als sehr empfehlenswert angesehen, um besser auf bereits vorhandene Rituale, Arbeitsweisen und Gruppenzusammensetzungen eingehen zu können.
Autorin
Yanina Kochtova ist in Leningrad, UdSSR geboren. Sie ist studierte Medien- und Kulturwissenschaftlerin sowie freie Filmvermittlerin für Kinder- und Jugendliche mit jüdischer Migrationsgeschichte.
Als pädagogische Referentin führt sie bei Film Macht Mut die Workshops mit den Konzepten von Film Macht Mut durch.